Mein Ja für die Menschlichkeit

…diesmal nach Rahmenbedingungen der Eindämmungsverordnung in Fürstenwalde.

Diese Sitzung war in vielerlei Hinsicht ein Ausnahmezustand. Sowohl durch die Coronazeit als auch durch die Art, wie die Themen diskutiert wurden. Sicher hängt das eine mit dem anderen zusammen.

Der Kreistagsvorsitzende Dr. Berger begann mit der Würdigung des 8. Mai – der Tag des Kriegsendes, der Tag der Befreiung von Krieg und Nationalsozialismus. Mit den Worten vom ehemaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker, der zum 40. Jahrestag des Kriegsendes erstmals von Befreiung sprach, wies er darauf hin: „Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen. Miteinander leben, nicht gegeneinander!“ Es gehe immer wieder darum, die Maßstäbe der Gerechtigkeit zu beherzigen. Er nahm auch Bezug auf die diesjährige Rede von Bundespräsident Steinmeier: Nicht das Erinnern, sondern das Nichterinnern wird zur Last (sehr passend, dass Herr Beier von der NPD später noch in den Saal hineinrief: „Wir sind auch traumatisiert!“). Ja, es ist eine lebenslange Aufgabe, dass wir uns selbst befreien von den alten bösen Geistern der Vergangenheit…

Und dann wurden zwei Dringlichkeitsanträge auf die Tagesordnung genommen, die eine Art Geisterjagd in die Dynamik dieser Sitzung brachten – zumindest glaube ich, dass diese dazu beigetragen haben. Die Fraktionen LINKE.PIRATEN  und AFD bezogen sich auf die aktuelle Lage und so stellten wir uns auf eine Debatte zur Kita-Betreuung und zur Situation in der KFZ-Zulassungsstelle ein.

Vorher hatte aber noch unser Landrat Herr Lindemann die Möglichkeit in seinem Bericht auf die außergewöhnlichen Zeiten aufmerksam zu machen, die außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. Er wies darauf hin, dass in der Krise die medialen Verbreitungswege ausgebaut worden seien. Anzeigen werden geschaltet, der Internetauftritt des Landkreises vermehrt genutzt. Auch Social Media wird jetzt vom Landkreis benutzt (https://www.facebook.com/landkreisoderspree/ ) – ein Vorteil sei hier die direkte Rückkopplung. Schön, dass das als Vorteil erkannt wurde, auch wenn sicher einige Unmutsäußerungen zu ertragen sind… Es ist für viele eine Herausforderung, ihr Eigeninteresse dem Allgemeinwohl gegenüber zu stellen. Tja, die „Falle des Präventionsparadoxons“ ist eben eine heikle Sache. Wie kann ich beweisen, dass die Maßnahmen, die ich ergriffen habe, gerechtfertigt waren, wenn die Situation nicht eskaliert? Wir haben hier keine experimentelles Untersuchungsdesign mit Kontrollgruppe. Am Ende braucht es Vertrauen. Gut, dass dies in breiten Teilen der Gesellschaft da ist. Herr Lindemann äußert sich allerdings auch relativ gelassen gegenüber Verschwörungserzähler*innen. Sie dürfen gerne ihre Meinung äußern, aber „sie haben keinen Anspruch darauf, dass wir diesen Nonsens ernst nehmen.“ Er macht seine politische Zurückweisung klar, indem er meint, solche Leute sollten lieber mal die Zeit nehmen, um ihre Oma anzurufen, statt Verschwörungsgeschichten zu verbreiten.

Noch ein wichtiger Aufruf des Landrats, dem ich mich nur anschließen kann: Jetzt nicht online bestellen bei den großen Konzernen, sondern unseren Einzelhandel vor Ort nutzen. „Wenn wir uns nicht intelligent verhalten, werden wir unsere Innenstädte in fünf Jahren nicht wiedererkennen.“

Was Entscheidungen in der Coronakrise v.a. vor dem Hintergrund der Kitabetreuungsfrage anbelangt, rät er von waghalsigen Entscheidungen ab. Ermessensspielräume werden aber so weit wie möglich ausgeschöpft, um möglichst allen gerecht zu werden. Auf die Zukunft gerichtet sagt er: „Wir müssen lernen mit diesem Virus zu leben.“ Kontrolle soll nach und nach zurücktreten, Eigenverantwortung, souveräne Bürgerselbstverwaltung in den Vordergrund rücken. Doch er schließt mit dem mahnenden Zeigefinger: Dieses Virus verzeiht keine Fehler!

Der Eilantrag der LINKEN.PIRATEN schloss sich nun an die Argumentation des rückläufigen Infektionsgeschehens an, um eine Klärung zur Kitabetreuung gegenüber der Landesregierung zu erwirken. Die Einschätzung der Rechtssituation soll bis Ende Mai erfolgen, dann soll der Übergang in die Regelbetreuung geklärt werden. Bisher ist vonseiten des Bildungsministeriums ungenügend definiert, was mit eingeschränkter Regelbetreuung gemeint ist. Schon in der aktuellen Lage können rechtmäßige Anträge auf Notbetreuung nicht berücksichtigt werden, weil die Kapazitäten erschöpft sind. Hier muss eine Lösung für alle Familien in Oder-Spree gefunden werden! Vielleicht hilft dieser Antrag ein Stück dabei. Ihm wurde jedenfalls mehrheitlich zugestimmt.

Dann folgt der „unverhältnismäßige Antrag in einer außergewöhnlichen Zeit“ (Danke an meinen Fraktionskollegen Oliver Schink für seinen Redebeitrag!). Die Kfz-Zulassungsstelle soll nach Meinung der AFD-Fraktion unverzüglich besser aufgestellt werden. Der Beigeordnete Herr Gehm erläutert geduldig und gut nachvollziehbar die herausfordernden Umstände der letzten Zeit, die Einarbeitung neuer Mitarbeitender erfolge bereits. Viele Herren blasen sich im Folgenden noch unnötig auf. Am Ende wird der Antrag mit den Stimmen v.a. der AFD und der Fraktion FDP/B-J-A/BVFO knapp angenommen. Ich bin noch immer wie gelähmt und habe es am Anfang gar nicht richtig mitbekommen. Dass es wirklich möglich war, den Kreistag durch so eine Hau-Ruck-Aktion zu überrumpeln macht mich fassungslos. Das ist für mich hochgradig undemokratisches Vorgehen und Heischen nach medialer Aufmerksamkeit, das Ausnutzen einer Krisensituation für populistische Zwecke.

Gleich im Anschluss gibt es noch eine unsägliche Debatte und am Ende mein Ja zur Menschlichkeit. Die AFD-Fraktion fordert (nach Aufforderung durch den NPD-Abgeordneten) namentliche Abstimmung zum Antrag der Fraktion LINKE.PIRATEN zur Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter aus Griechenland. 38 mal hört man ein Ja im Saal. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Oder-Spree noch mein Landkreis ist. Gott sei Dank!

Wir verabschieden den Haushalt, obwohl jetzt bereits klar im Raum steht: Es wird einen Nachtragshaushalt geben. Die Kreisumlage wurde von 38 auf 37% gesenkt. Das hilft hoffentlich den Kommunen in dieser Zeit zumindest ein wenig.

Schade dass der Jugendförderplan so wenig Aufmerksamkeit erfuhr, jedenfalls wenn man sich die Redezeit anschaut. Es gibt viele wichtige Projekte im Landkreis, die die Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit betreffen. So soll ein Fokus beispielsweise auf Suchtprävention und Medienbildung gelegt werden – Bereiche, die besonders unter dem Brennglas der Coronakrise an Brisanz zunehmen.

Ein paar Straßenbauprojekte standen auch wieder mal auf der Tagesordnung. Unsere Fraktion hat den stiefmütterlichen Umgang mit Ersatzpflanzungen bemängelt. Unsere Vorsitzende Anja Grabs dazu: Die Beauftragung von Agroforst-Maßnahmen ist keine Ausgleichsmaßnahme, sondern es handelt sich da in Subventionen. Wir haben uns enthalten. Da geht mehr, besonders auch ein aktiverer Einbezug des Naturschutzbeirats.

Die Eröffnung des BER befindet sich auf der Zielgeraden und somit auch die Entwicklung der Region um den Hauptstadtflughafen herum. Der Landkreis Oder-Spree beteiligt sich an der BADC Berlin-Brandenburg Area Development Company GmbH und der Bildung der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Dialogforum Airport Berlin Brandenburg. Das haben wir mehrheitlich beschlossen. Die gute Verbindung zum Flughafen ist eine Chance für die umliegenden Kommunen und eine gute Abstimmung und Zusammenarbeit ist wichtig, da teile ich die Meinung der Beigeordneten Frau Teltewskaja. Es wird nun spannend, wie es sich im Falle Tesla entwickelt. Auch in diesem Fall sehe ich eine ganzheitliche Betrachtung der wirtschaftlichen, infrastrukturellen und ökologischen Entwicklung als dringend notwendig!

Die Sitzung schloss auch mit einem schönen Tagesordnungspunkt: Gerd Gronwald wurde offiziell als sachkundiger Einwohner unserer Fraktion für den Haushaltsausschuss benannt. Aber wir sind noch immer nicht komplett: Wir freuen uns über Bewerbungen für die Mitarbeit im Kultur- sowie im Sozialausschuss! Auf dass die Menschlichkeit sich in allen Bereichen zeige! Leute, wir brauchen Eure Unterstützung, besonders von Frauen. Es ist immer wieder kaum auszuhalten, wie gering der Redeanteil von Frauen im Kreistag ist. Ich ärgere mich im Nachhinein ungemein, dass ich nicht öfter aufgestanden bin, um etwas zu sagen. Das passiert mir nicht nochmal.